Asoziale und Berufsverbrecher im KZ – Opfer des Nationalsozialismus?“ war der Titel einer Veranstaltung im Kulturwerk, die von den Demokratiebegleiter/-innen organisiert wurde. Frank Nonnenmacher, Professor für Sozialwissenschaften und Politische Bildung an der Goethe-Universität Frankfurt, lenkte darin den Blick auf zwei Opfergruppen, die über Jahrzehnte weitgehend ignoriert wurden. Etwa 70.000 Menschen waren von der Verfolgung als „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ betroffen. Es gäbe aber keine biographische Forschung und keine Interessenvertretung für diese Menschen, so Nonnenmacher.
Nonnenmacher behandelte das Thema aus der eigenen Familiengeschichte heraus, anhand seines Vaters, Gustav, und seines Onkels Ernst. Die beiden wuchsen zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Söhne einer ledigen Mutter und verschiedener Väter in extremer Armut in Stuttgart auf. Gustav nahm die Fürsorge der Mutter weg und gab ihn ins Waisenhaus am Schlossplatz. Ein geplantes Stipendium zerschlug sich wegen der Inflation. Er wurde später Soldat, flog in der Luftwaffe und war nach dem Krieg freischaffender Bildhauer.
Ernst dagegen blieb bei der Mutter. Er trug schon früh durch kleine Diebstähle zum Lebensunterhalt bei und kam in ein Fürsorgeheim. Im „Rettungshaus für Kinder“ lernte er Korbflechten. Wie viele andere Menschen zu jener Zeit schlug er sich mit kleinen Diebstählen und Jobs durchs Leben. Ab 1933 war er Wanderarbeiter, er war zwei Jahre im Gefängnis. Danach wurde er sofort wieder verhaftet und ohne weitere Verfahren direkt ins KZ Flossenbürg und später ins KZ Sachsenhausen deportiert. Von der SS wurde er erst als „Asozialer“, dann als „Berufsverbrecher“ markiert. Gerettet hat ich dann die Fähigkeit, Körbe zu flechten, denn in Sachsenhausen wurden Häftlinge dafür eingesetzt, Behältnisse für Munition zu flechten.
Nach dem Krieg beantragte Ernst Nonnenmacher erfolglos eine Entschädigung. Er ist damit einer von vielen. „Menschen mit grünem oder schwarzem Winkel hatten keine Chance auf Entschädigung“, so Nonnenmacher. Er betonte, dass der Begriff „Asozial“ schon vor dem Nationalsozialismus vorhanden war. Darunter fielen, je nach Definition auch Behinderte, Prostituierte sowie Sinti und Roma. Die Nazis gingen davon aus, dass asoziales Verhalten vererbt wurde. Unter „Berufsverbrecher“ fielen Menschen, die mehrfach (auch kleine) Delikte begangen hatten.
„Die Stigmatisierung, die in den Begriffen steckt, wirkt bis heute nach“, so Nonnenmacher. Deshalb habe es keine Erinnerungskultur für diese Opfergruppen gegeben. Erst vor fünf oder sechs Jahren hätten Wissenschaftler aus eigener Motivation sich mit dem Thema befasst. Auch Nonnenmacher selbst hat sich engagiert und mit dafür gekämpft, dass der Bundestag diese Gruppen anerkennt. 2020 erkannte der Bundestag die Gruppen „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ als „Opfer des Nationalsozialismus“ an. „Es ist gut, dass es den Bundestagsbeschluss gibt“, so Nonnenmacher. „aber er kommt zu spät.“ Zudem sei die Anerkennung nur als „Opfer“ und nicht als „Verfolgte des Nationalsozialismus“ eine Anerkennung zweiter Klasse.
Inzwischen ist auch eine Wanderausstellung zum Thema in Vorbereitung, trotzdem sei das Interesse noch immer zu gering. Nonnenmacher beteiligt sich deshalb an der Gründung des Verbands „Nachkommen sozialrassistisch Verfolgter“, der eine Interessenvertretung sein soll.
Im Anschluss an den Vortrag gedachten die Demokratiebegleiter dreier weiterer Opfer aus Stuttgart: Eugen Plappert, Adolf Eisenhardt und Hans Jeremias.
Den Vortrag von Frank Nonnenmacher können Sie hier anschauen.